Jazzhöhepunkte von Bach bis Piazolla

Lilo Kunkel an der Zwieseler Orgel
Lilo Kunkel - Blick auf die Videoleinwand; Foto: Aurel v. Bismarck

Zwiesel: Wenn man Jazz und die Kirchenorgel verbindet, denkt man vielleicht an Keith Jarett, aber ganz gewiss an Barbara Dennerlein, die vor über einem Jahr sogar die Passauer Domorgel zum Swingen brachte.
Andererseits haben viele Leute noch eine reservierte Einstellung, was Jazz in der Kirche betrifft.
Aber der Auftritt der Würzburger Organistin und Dozentin an der dortigen Musikhochschule Lilo Kunkel beim zweiten Abend der „Zwieseler Orgeltage“ geriet zu einem Konzert der anderen und vor allem der ganz besonderen Art!
Die Zuhörer und -schauer – das Konzert wurde wieder per Videoleinwand übertragen - kamen in den Genuss eines wundervollen Programmes mit diversen Jazzstandards - nach der Art von Jazzkonzerten in sogenannte "Sets" gegliedert.
Gleich das schmissige „Blues in the night“ von Harold Arlen konnte begeistern: Schwungvolle, gut ausphrasierte Melodiebögen, geschickt sekundiert durch ausgefeilte Voicings in der linken Hand und gut grundiert mit den Pedalregistern. Dieser erste Set unter dem Thema „Nacht“ wurde fortgesetzt mit dem bekannten „Moon river“ aus dem Film „Breakfast at Tiffany“, hier als flotter Jazz-Walz arrangiert und „Round Midnight“ als Bossa nova. Am Ende des Sets ein kurzes Choralvorspiel „Bevor die Sonne sinkt“.
Nach diesem Konzert möge bitte keiner – auch niemand, der die Orgel in unzähligen Konzerten, Orgelsommern und Gottesdiensten -zigmal gehört hat- behaupten, er würde alle Klangmöglichkeiten der Stadtpfarrkirchenorgel kennen, denn was die Solistin da an irren, wahnwitzigen Klangkombinationen aus dem Instrument rausgeholt hat, möchte man nicht glauben, hätte man es nicht selbst gehört.
Verrückte Kombinationen mit Zungenregistern bei „Midnight in Moscow“ oder die Kombination von extrem hohen und sehr tiefen Registern in der Melodie von Lionel Hamptons „Midnight sun“ - die Klangphantasie von Lilo Kunkel kannte an dem Abend keine Grenzen! Und an anderen Stellen wurde plötzlich eine alte Hammondorgel aus dem Hut gezaubert – die Pfeifen hatte...
Nach den beiden Herbststücken „Autumn nocturne“ und „Autumn leaves“ (hier als toller Samba), die den zweiten Set beschlossen, konnte man zu Beginn des dritten Sets ein jazzig aufbereitetes „Ein feste Burg ist unser Gott“ - das evangelische (Luther-)Lied schlechthin – hören, bevor auch eine Jazzorganistin auf den Meister aller Meister zurückgreift: Johann Sebastian Bach!
Unzählige Orgelschüler üben die „kleine“ g-moll-Fuge des großen Thomaskantors – aber Lilo Kunkel hat die jazzige Seite des Bach-Themas herausgegriffen und mit einer geheimnisvollen Registrierung zum Klingen gebracht. Schon Jaques Loussier, Friedrich Gulda oder Glenn Gould haben entdeckt, dass im großen Meister Bach eigentlich ein verkappter Jazzer steckte...
Wie zum Beweis dafür spielte die Künstlerin ihre Jazzversion der bekannten „Badinerie“ aus der Suite h-moll – ist dieses Thema nicht eines der besten Jazzthemen überhaupt, die je geschrieben wurden?
Die Begleitung wurde auf Jazz getrimmt, Melodie und Ablauf aber unangetastet gelassen – perfekt!
Zum Ende dieses Sets erklang noch Michel Lagrands „Sweet gingerbread man“ und der freche Swing „The frim fram sauce“. Viele (Kirchen-)Organisten behaupten, dass eine Pfeifenorgel nicht „grooven“ könne – aber in der Stadtpfarrkirche konnten die Zuhörer den Gegenbeweis hören!
Der letzte Set begann mit „Be thou my vision“, eines irischen Traditionals in der Bearbeitung ihres Lehrers Zsolt Gardony mit ruhiger Stimmung und sehr farbigen Harmonien, bevor zwei absolute Jazzgrößen zu Wort kommen durften: Errol Garners „Errols Bounce“ und das fast schon choralartige „Hymn to freedom“ von Oscar Peterson.
Am Schluss sehr spritzig der flotte „Libertango“ des Argentiniers Astor Piazolla. Dieses Stück wurde im Programm schon als die Zugabe angekündigt – aber mit dem Zwieseler Publikum lief das nicht!
Nach verdient langem Beifall durfte man noch einmal Johann Sebastian Bachs „Badinerie“ hören.
Würdiger Beschluss eines ganz besonderen – etwas anderen – Konzertes, welches einen Riesenspaß machte!
Und es ist zu hoffen, dass man Lilo Kunkel nicht das letzte Mal in Zwiesel gehört hat!

Aurel v. Bismarck